unsere Rede zum t*dov 2023

Wir sind call me by my name und wir setzen uns für eine tin*klusive Uni Halle ein. Wir machen Druck auf die Universitätsleitung, kämpfen für eine unbürokratische Namen- und Personenstandsänderung und leisten Bildungsarbeit. Diese trans* Lobby gibt es also wirklich – nur sind wir kein geheimer Untergrundverein, sondern ein paar betroffene Studis, die selbst für ihre Rechte einstehen müssen, weil sich sonst an der Uni nichts ändert. In dieser Rede gebe ich euch einen kurzen Einblick, was an dieser Uni alles schiefläuft.

Zwei Hinweise im Voraus:
Ich nutze heute tin*, kurz für trans*, inter* und nicht-binär, und nicht INTA (inta+), da das gesprochen leichter von inter* abzugrenzen ist. 
Das „Ich“ in dieser Rede bin nicht nur ich, die Person, die gerade vor euch steht. Stattdessen ist dieses „Ich“ ein Gemisch aus mir und den Erfahrungsberichten betroffener tin* Personen an der MLU.

In einer Woche geht die Vorlesungszeit wieder los. Der Anfang des Semesters bedeutet für die meisten Studierenden eine Umstellung, neue Veranstaltungen, neuer Rhythmus, neue Inhalte und oft neue Menschen, die wir regelmäßig sehen. Ich würde mich gerne auf die Zeit freuen, mich auf die Themen konzentrieren, weshalb ich auch das Studium angefangen habe – aber mit jedem neuen Semester kommt auch eine neue Unsicherheit.
„[Ich sehe] meistens sehr viele neue Gesichter in meinen Seminaren. Jedes Mal kann ich nicht einschlafen vor den ersten Veranstaltungen, weil ich so angespannt bin. Ich mache mir eine Menge Gedanken. Wie gehe ich damit um, wenn Dozierende Namenslisten vorlesen? Schreibe ich ihnen vorher eine Mail, dass sie das nicht tun sollen? Oder oute ich mich damit umsonst, weil das vielleicht endlich niemand mehr macht? Schaffe ich es in dem Moment, wo sie ankündigen die Namen durchzugehen, zu sagen, dass ich mir wünsche, dass sich alle selbst vorstellen können? Wird es eine transfeindliche Person in einem der Seminare geben? Werde ich (wieder) die einzige Person sein, die sich mit Pronomen vorstellt?“ (Einsendung 2)

„Ein neuer Semesterstart, ein neuer Kurs und neue Dozierende bedeuten für mich, Schweißausbrüche, klitschnasse Hände, das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen und Schwindel gemischt mit Sehstörungen ausgelöst durch Angst, mindestens in den ersten 3-4 Wochen des Semesters, bei einigen Veranstaltung sogar über das ganze Semester über.“ (Einsendung 8)

Aber auch über die ersten Wochen des Semesters hinaus ist es eine Belastung. Jedes Mal, wenn der Studi-Ausweis vorgezeigt wird: In der Mensa, in der Bibliothek, in der Tram und Bahn. Jede Mail über die Studmail-Adresse. Die ach so modernen Foren und Wikis auf StudIP, RocketChat, BigBlueButton.

„Jede Person in meinem Leben, die irgendwie meinen Deadname weiß, weiß ihn nur wegen der MLU.“ (Einsendung 4)

Die Uni Halle stellt sich gerne so tin*klusiv dar, aber zwingt mich gleichzeitig, unter Deadname und falschem Geschlechtseintrag zu studieren. Jedes Mal wenn mein Deadname fällt, ist es wie „ein Tritt in die Magengrube.“ (Einsendung 9)

Die Uni Halle zwingt mich weiterhin dazu, mich Verfahren wie dem TSG zu unterziehen, obwohl das überhaupt nicht nötig wäre. Andere Uni machen es vor, es gibt rechtliche Gutachten. Selbstbestimmung per Selbstauskunft ist auch und gerade an Unis möglich.

Stattdessen redet die Stabsstelle Vielfalt und Chancengleichheit letztes Jahr von rechtlichen Totschlagargumenten. Da sei nichts zu machen, gerade wenn der – damalige – Rektor Tietje Jurist sei. Das Beste, was uns im letzten Jahr passiert ist, ist, dass Tietje nicht wiedergewählt wurde.

Denn plötzlich sind Gespräche auf Augenhöhe möglich, plötzlich werden rechtliche Gutachten ernst genommen und „Verfahren angestoßen, sich damit auseinander zu setzen“. Dieselben Leute zeigen sich plötzlich ganz anders. Und im Dezember hat sich die neue Rektorin Becker mit uns, call me by my name, getroffen. Wir haben ihr die Erfahrungsberichte überreicht, selbst erklärt, was die Probleme an der Uni Halle sind und mögliche Lösungen aufgezeigt.

Denn die einzige Lösung für uns ist eine Namens- und Personenstandsänderung per Selbstauskunft. Keine zusätzliche Bürokratie, keine Ergänzungsausweise.

Ohne Begrenzungen, die uns unterstellen, wir würden hier nur zum Spaß unseren Namen ändern und monatlich die Imma-Ämter überrennen. Ja, ich gestehe, trans* sein macht mir tatsächlich Spaß – aber wenn ich dran denke, trans* an der MLU zu sein, vergeht mir das Lächeln schon wieder.

Wir brauchen eine Namens- und Personenstandsänderung per Selbstauskunft auch trotz den Verhandlungen über ein Selbstbestimmungsgesetz. Zum einen bleibt weiterhin offen, wann dieses Gesetz dann kommt und wie es dann genau aussieht. Erst letzte Woche ging es darum, ob im Gesetz nicht auch haltlose Terf-Befürchtungen verankert werden sollen.
Und selbst wenn wir annehmen, dass es tatsächlich ein gutes, hilfreiches Gesetz wird – die Uni braucht eine eigenständige Lösung. Nicht für alle Menschen ist ein kompletter amtlicher Wechsel eine Option.

Aber wir kennen die Uni, die Mühlen mahlen langsam und nun steht schon wieder ein neues Semester vor der Tür, schon wieder dieselbe Scheiße.

„Ich kann an meinem ersten Uni-Tag nicht das tragen, was ich mag. Ich weiß ja nicht einmal wie die Toilettensituation vor Ort sein wird. Ich wurde schon so oft von Toiletten geschickt, habe noch andere Dinge erfahren, die einen einzelnen Brief wert wären. Um dem vorzubeugen, gehe ich nicht auf öffentliche, binär gegenderte Toiletten oder mache es wie heute: Klappe halten, damit Menschen meine Stimme nicht hören, Gang üben und das Outfit genau überlegen.“ (Einsendung 5)

„Deshalb ist es mir sehr wichtig, mehr (und besser ausgeschilderte) All-Gender-Toiletten zu haben, damit ich nicht mehr meine gesamte Pause zwischen zwei Vorlesungen damit verbringen muss, das nächste WC zu suchen, das ich benutzen kann.“ (Einsendung 1)

Diese Toiletten gibt es nun endlich. Oder eher die Beschilderung, denn die Toiletten waren auch schon vorher da. Es sind jetzt bunte Schilder an einem Teil der rollstuhlgerechten Toiletten. Da sollten wir uns doch freuen, oder?

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe diese Toiletten auch schon vor den Schildern genutzt, wenn ich keine Kraft hatte, mich selbst zu misgendern – aber genug Kraft um den weiten Laufweg auf mich zu nehmen. Ich hatte die Hoffnung, dass es sich irgendwie besser anfühlt, wenn ein Schild an der Tür ist, das mir eine offizielle Erlaubnis gibt, doch es fühlt sich immer noch falsch an. Hier werden die Bedürfnisse verschiedener Gruppen gegeneinander ausgespielt – rollstuhlgerechte Toiletten sind allein viel zu selten. Wickelraum, der unabhängig vom Geschlecht zugänglich ist, ist viel zu selten. Aber wehe cis Menschen muss mal eine Treppe mehr gehen, um zu einer binär gegenderten Toilette zu kommen – die kann die Uni echt nicht als all gender Toiletten umfunktionieren.

Es sind übrigens insgesamt 26 all gender Toiletten an einer Universität mit 20.000 Studierenden. Schon im Juridicum allein gibt es mehr binär gegenderte Kloschüsseln als das. Dass diese 26 all gender Toiletten nur ein Anfang sein können, muss klar sein.

Die Situation an der Uni Halle ist nicht haltbar – fortlaufend werden tin* Personen diskriminiert. Ich bin bereit, der Unileitung unter die Arme zu greifen und ihnen den Weg zu weisen. Ich bin nicht bereit, ewig darauf zu warten. Ich bin hier zum Studieren und die Uni verhindert das.

„[Ich habe] mein Studium erstmal für Monate auf Eis legen müssen, weil ich mir, aufgrund der Regelung bezüglich Namens- und Personenstandsänderung, ein Outing einfach nicht zugetraut habe. Zu sehr hatte ich Angst mich ständig erklären zu müssen, wegen meinem Namen in StudIP, meiner Uni-Email-Adresse und allem anderen. Sich immer wieder aufs Neue outen zu müssen, ist eine extreme psychische Belastung. Ich habe in dieser Zeit immer wieder ernsthaft erwogen mein Studium an der MLU deshalb abzubrechen, weil ein Outing in Anbetracht dieser Regelungen unmöglich schien, ein Weiterstudieren ohne Outing aber genauso unmöglich war.“ (Einsendung 9)

„Ich wünsche mir sehr, nicht mehr täglich daran erinnert zu werden, dass es in dieser Welt scheinbar keinen[…] Platz für mich und alle anderen trans* Menschen gibt. Ich wünsche mir sehr mich in der Uni auf den Inhalt meines Studiums konzentrieren zu können[…].“ (Einsendung 8)

„„Zukunft mit Tradition“, so bezeichnet die Uni sich auf ihrer Homepage selbst. […] Eine Uni, die sich zur Gleichbehandlung nicht erst zwingen lassen muss, wäre wirklich zukunftsgewandt.“ (Einsendung 9)

Diese Rede und das „Ich“ in ihr sind, wie bereits erwähnt, auf Erfahrungsberichten von anderen tin* Studierenden gestützt und daraus zitiert. Wir laden euch ein, euch auch direkt mit uns, call me by my name, auszutauschen. Egal ob ihr mal ranten müsst, Tipps zum Umgang mit Lehrenden braucht oder selbst aktiv werden wollt, kommt auf uns zu.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Aktuelles